Sonntag, 19. August 2007

Graffiti Travel Guide Singapore

Ein neuer Reiseführer zeigt die Löwenstadt aus ganz eigener Sicht



Die Party zur Buchveröffentlichung beginnt bereits ungewöhnlich. Alle Gäste sind eingeladen, mit einer Spraydose ihre Gedanken und Eindrücke zum Thema Singapur auf einer weiß getünchten Wand des neu eröffneten Designed in Singapore zu verewigen.

Eine sehr passende Art, den neuen Reiseführer „Graffiti Travel Guide Singapore“ vorzustellen. Der ist nämlich vor allem zweierlei: sehr bunt und sehr persönlich.

30 Autoren, Fotografen und Designer haben an dem 192 Seiten starken Werk mitgewirkt. Der eigentliche Kopf hinter dem kleinen knallgelben Büchlein ist jedoch Lim Sio Hui. Die 28jährige Reisejournalistin hatte nach ihren Studienaufenthalten in England und Italien genug von den Klischees über Singapur. „Als ich aus Europa zurückkam, wusste ich nicht nur unsere lokalen Eigenheiten viel mehr zu schätzen“, erzählt sie während der Party mit einer Farbdose in der Hand. „Vor allem wollte ich Touristen und Einheimischen zeigen, dass meine Heimatstadt so viel mehr zu bieten hat als Shopping und Essen.“

Beide Themen nehmen auch in ihrem Buch zu Recht eine Menge Platz ein, denn beides bietet die Metropole im Übermaß. Doch im Unterschied zu herkömmlichen Reiseführern empfiehlt der Graffiti Travel Guide – garniert mit persönlichen Kindheitserinnerungen – eher ein Restaurant im Rotlichtviertel Geylang (Geylang Famous Kuay Teow Beef 237 Geylang Road) oder einen Besuch des historischen Bahnhofs Tanjong Pagar, 30 Keppel Road, wo sich Mutige illegal in einem Straßencafé niederlassen können (es fehlt die offiziell vorgeschriebene Absperrung zwischen Tisch und Straße).

Ambitionierte Reisefotografen bekommen ebenso Tips (bester Blick auf Chinatown: Block 335B Smith Street) wie Musik- oder Vogelliebhaber (sonntägliches Vogelkonzert zwischen 9 und 10.30 Uhr in Block 159, Ang Mo Kio Avenue 4).

15 Monate saß Sio Hui mit ihrem Team an ihrem leicht schrägen, aber umso liebenswerteren Projekt. „Es war vor allem ein organischer Prozess“, sagt sie. „Wir wussten am Anfang gar nicht, was für ein Buch wir am Ende herausbekommen würden“, lacht sie. Doch der Mut zur Ziellosigkeit hat sich gelohnt. Das Büchlein ist vor allem für Reisende, die Singapur aus der Sicht Einheimischer entdecken wollen, die sich die Zeit nehmen können, auch die Seitenstraßen der Orchard Road zu erkunden.

Doch auch für einen kurzen Zwischenstopp in Singapur hat Sio Hui einen Tip parat: die Telok Ayer Street in Chinatown. „Da ist Singapur in seiner ganzen Vielfalt vertreten, alt und jung, modern und historisch“, sagt das kleine Energiebündel und widmet sich wieder ihrer Spraydose.

Info:
Website unter www.graffititravel.com, erhältlich in allen Filialen von Kinokuniya und Page One, Preis: 27$.

Sonntag, 12. August 2007

Kunst auf kleinstem Raum.

Das Singapurer Philateliemuseum zeigt erstmals alle Sonderbriefmarken zum Nationalfeiertag


Wann haben Sie sich das letzte Mal eine Briefmarke genauer angesehen? Wann hatten Sie überhaupt das letzte Mal eine Briefmarke in der Hand?
Für die meisten Menschen ist das geriffelte Stück Papier heutzutage nicht mehr als ein leicht antiquiertes Produkt aus Zeiten als Briefe schreiben noch nicht Snail mail (Schneckenpost) hieß.

Dass Briefmarken auch kleine Kunstwerke und farbige Zeugnisse vergangener Tage sein können, stellt nun das Singapurer Philateliemuseum anschaulich unter Beweis. Die kleine, aber feine Institution an der Coleman Street zeigt bis zum 14. Oktober erstmalig alle zum Nationalfeiertag am 9. August erschienen Sonderbriefmarken.

Der in Anlehnung an die Landesfahne ganz in rot und weiß gehaltene Ausstellungsraum lädt den Besucher ein, in chronologischer Reihenfolge alle zwischen 1960 und 2007 erschienen Kunstwerke in Originalgröße zu betrachten. Die Motive zeigen die Herausforderungen der jeweiligen Epoche: die Erschaffung einer multikulturellen Gesellschaft, die Wohnungsfrage oder Singapurs Industrialisierung. Viele Motive machen eines erneut deutlich: ohne Singapurs Bevölkerung wäre der rasche Wandel des Stadtstaates so nicht möglich gewesen. Dementsprechend oft tauchen die vier Ethnien beziehungsweise die Familie als Thema auf den Zeichnungen auf. Die Hauptfiguren sind Arbeiter, Schüler, Soldaten und Kinder.
Dem aus einem um Gleichberechtigung bemühten Land stammenden Reporter fällt jedoch sofort ins Auge: Frauen tauchen als Grundpfeiler der Gesellschaft in den Kunstwerken nicht auf.

Auch sonst sind die Briefmarken künstlerisch Kinder ihrer Zeit: von der Ausgabe zum ersten Jahrestag am 9. August 1966, die in Komposition und Ausdruck stark an die Ästhetik des sozialistischen Realismus der Sowjetunion erinnert, über psychedelische Farbspielerein der 70er bis zur photorealistischen Ästhetik des 21. Jahrhunderts.
Die Ausstellung hält sich mit Erklärungen zurück und setzt ganz auf die Kraft der Bilder.

Besonders gelungen sind die Beispiele, anhand derer einzelne Produktionsschritte vom Entwurf des Künstlers mit Buntstift und Lineal bis zur fertigen Briefmarke ausgestellt sind.

So lässt sich nachvollziehen, wie viel Handarbeit es in Zeiten vor elektronischen Layout- und Grafikprogrammen bedeutete, aus einem Schwarzweißfoto von frühen Hochhäusern des Housing Development Boards im Stadtteil Queenstown schlussendlich die vielfarbigen 4 und 10 Cent-Briefmarken zum Nationalfeiertag 1963 zu basteln.
Die Ausstellung ist somit - ob gewollt oder nicht - ganz nebenbei auch eine über ausgestorbene Berufszweige.


Erfreulich ist der Entschluss der Regierung im Photoshop-Zeitalter nicht den neuesten Gigahertzrechner zu bemühen, sondern für die gestalterische Arbeit zum 42. Nationalfeiertag den Lokalkünstler Ong Kim Seng zu beauftragen, der Singapurs Sehenswürdigkeiten auf vier verschiedenen Briefmarken mit Wasserfarben festgehalten hat.

Weshalb jedoch in dem langen Zeitraum zwischen 1975 und 2003 keine Sonderausgaben zum Nationalfeiertag herausgegeben worden sind, kann auf Nachfrage selbst der Herausgeber, Singapore Post, nicht erklären.

Egal, was Sie von den Kunstwerken selbst halten mögen –wenn Sie das nächste Mal eine Briefmarke in die Hand nehmen, achten Sie vielleicht einmal darauf, wie viel Kreativität und Aussagekraft auf diesem geriffelten Stück Papier versammelt sein kann.

Info:
National Day Stamp
Dauer: bis 14. Oktober 2007
Ort: Singapore Philatelic Museum, 23-B Coleman Street, Singapore 179807
Öffnungszeiten: montags (13.00–19.00); dienstags – sonntags (9.00–19.00)
Eintrittspreise: $5 (Erwachsene); $4 (Kinder, 3–12 Jahre)
Telefon: 6337-3888
Webseite: www.spm.org.sg

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Samstag, 4. August 2007

Atemlose Stille.

Es ist Mittag in Singapur. Die Sonne brennt. Ein Mann, ein Swimmingpool.


Mein Pass hat zu Beginn dieses Monats seinen Lebensabend der letzten 6 Monate begonnen und ich muss einen neuen beantragen. Das deutsche Konsulat befindet sich im Stadtzentrum, ich steige um halb acht Uhr morgens in ein Taxi um den Warteschlangen zuvorzukommen.

Die Geschäftigkeit der Menschen rund um den Raffles Place, die entschlossenen Gesichter der Männer und Frauen in Hell, Getönt oder Dunkelblau sind zum einen beneidenswert in ihrer Zielstrebigkeit, andererseits strahlen sie eine Fremdgesteuertheit aus, die mich als Beobachter der Szenerie wiederum erschreckt: ich sehe hier im Gegensatz zu anderen Orten der Welt, an denen sich ebenfalls eine große Zahl von Menschen zur täglichen Arbeit einfinden, kein fröhliches Gesicht. Nicht um 9 Uhr, wenn die meisten ihre Büroarbeit beginnen und noch ohne Erfolgserlebnis sind oder nervös wegen ihrer E-Mail-Anfrage von gestern Abend, von der sie sich einiges versprechen, nicht um 10 Uhr, wenn schon wieder einige Angestellte auf der Straße sind für den ersten Kaffee bei Starbucks um die Ecke und auch nicht um Elf auf ihrem ersten Kundengang.

Mein Konsulatsbesuch ist wie erwartet kurz und schmerzlos, ich freue mich auf den Swimmingpool meines Apartments, dessen Besuch ich mir für diesen freien Tag unter der Woche vorgenommen habe.

Das 25 Meter-Becken liegt hellblau vor meinen wieder ermüdenden Augen, als ich um kurz vor 12 Uhr meine Zehen ins Wasser tauche. Ich schwimme 10 Bahnen zum Warmwerden, eine Brise kräuselt das Wasser leicht, während ich entspannt vor mich her pruste.

Ob ich noch tauchen kann, frage ich mich selbst. Früher habe ich mich gerne selber im Luftanhalten herausgefordert, im öffentlichen Schwimmbad, im Freibad oder in der Badewanne, wenn solch ein Luxus zur Verfügung stand. Tauchen bedeutet für mich eine unmittelbar gefühlte Endlichkeit der eigenen Existenz und gleichzeitig eine besondere Art zu entspannen, die unter Wasser kaum je länger als eine Minute dauert und somit umso intensiver geschieht.

Ich will mit einer quergetauchten Bahn von 10 Metern Länge beginnen, pumpe dafür zunächst langsam Luft in die Lungen, atme vier Mal tief ein und gleite ohne Hast unter Wasser dem anderen Beckenrand entgegen. Ich merke wie der erste Versuch nicht so entspannt geschieht wie ich ihn mir vorgestellt habe, ich bin zu verkrampft, will zu schnell vorwärts und verbrauche dadurch zu viel Energie. Das Auftauchen auf der anderen Seite ist eine Erlösung für meine protestierenden Lungenflügel.

Ich bin nicht zufrieden.

Die zweite Beckenquerung bereite ich besser vor, ich atmer länger tief ein, die Nase kurz über der Wasseroberfläche, in meinem Inneren auf den richtigen Moment wartend, dann nämlich, wenn ich nicht mehr denke, nur noch warte und dann – loslasse. Entspannt rudere ich mit den Armen unter Wasser der anderen Seite entgegen und finde noch Zeit, die letzten beiden Stöße betont langsam zu vollenden, um dann ohne Hast an die Oberfläche zu treiben.
Der dritte Versuch überzeugt mich, jetzt auch die gesamte Länge des Beckens ins Auge zu fassen. Ich messe die Strecke ab, zwischen der vorderen Einsteigsleiter, bei einem Meter Wassertiefe, und der hinteren bei 2 Meter 40, suche im Becken nach Orientierungspunkten, die meinen Fortschritt, mein Fortschwimmen verdeutlichen und sinke unter Wasser. Beim Auftauchen an den in den Pool gekachelten Treppenstufen merke ich: da ist noch mehr drin.

Ich steige aus dem Wasser und gehe langsam drei Meter weiter an den Beckenrand auf der tiefen Seite des Pools. Wieder atme ich entspannt und tief ein, vier Mal ein, vier Mal aus, ich merke, dass ich schlucken muss und denke, zerstört mir der Schluckreflex den Rhythmus des Atemholens, vertreibt er mir wieder die Luft, die ich gerade in meinen Lungenflügeln speichere? Ich verscheuche den Geedanken wieder, ich will schließlich tauchen, außerdem, und ich muss beinahe lächeln, habe ich als Jugendlicher so nie gedacht. Einfach machen, ertönt es in meinem Kopf. Die Stimme könnte meine sein oder die meines Vaters, wahrscheinlich eine Mischung, wir sind uns ähnlich genug.

Mit zwei kurzen Schritten bin ich am Beckenrand, stoße mich ab und gleite schwungvoll durch die stumme Welt in Hellblau. Meine Tauchtiefe ist zufällig auf der Höhe des 1 Meter 40 flachen Bodens, der sich langsam aus der Tiefe erhebt, er streichelt meinen Bauch, während ich ganz flach über ihm hinwegzuschweben beginne. So macht Tauchen Spaß, ich merke wie meine Lungen wieder zu protestieren beginnen, doch die Entspannung, die ich in mir fühle, gewinnt, ich gleite energisch, aber leicht dem anderen Ende entgegen. Glücklich tauche ich auf.

Und bin doch noch nicht zufrieden, ich merke, wie sehr es mich freut, mir das Becken Schritt für Schritt zu erarbeiten, seine scheinbar große Länge auf kleine Stücke unterteilt zu haben. Tauchen, wie Beppo der Straßenfeger aus Michael Endes „Momo“ seiner Arbeit nachgeht, Besenstrich für Besenstrich, Zug um Zug – so ist das Schwimmbecken, das mir zunächst als eine einzige Masse an Wasser erschien, zu einer Serie von greifbaren und bezwingbaren Einheiten geworden.

Doch eine Herausforderung fehlt noch. Das Längstauchen ohne Kopfsprung.

Ich möchte das Becken ohne das Geschenk zweier gesprungener Meter und anschließender Gleitphase durchqueren können. Mein Ehrgeiz lässt mich nicht den Pool verlassen ohne diesen Versuch wenigstens unternommen zu haben.

Ich stehe mit gebeugten Knien im Wasser, die Arme auf der Oberfläche und blicke konzentriert atmend auf die andere Seite. Beim Eintauchen merke ich, dass ich mir mehr Schwung vom Beckenrand hätte genehmigen können und bereue den Gedanken sofort: nicht analysieren, tauchen, denke ich mir und stelle fest, wie ich nach den ersten drei Zügen zu entspannen beginne. Nur einen Blick gönne ich mir nach vorn, wo ich unscharf dunkelblaue Farbe erkenne und richte meinen Blick wieder auf die hellblauen Kacheln, die unter mir vorbeiziehen. Ich betrachte meine Hände, wie sie von der hinter einer langen Wolkenbank überraschend hervorgesprungen Sonne beschienen werden, so als ob sie nun auch neugierig geworden ist, ob das Menschlein an seinem selbst gesteckten Ziel ankommen wird. Der Boden unter mir gibt Raum für den tiefen Teil des Beckens, ich tauche nun in der Mitte des Wassers und entdecke erfreut meinen Schatten wie er unter mir über den tiefen Boden hinwegzieht. Für lange vier Züge genieße ich so, durch das Wasser voranzuschweben, ich weiß, dass ich es schaffen werde, am anderen Ende anzukommen und fühle mich gut auf dieser kurzen Reise in Begleitung meines vorauseilenden Schattes. Mit einem auch für die Sonne deutlich wahrnehmbaren Lächeln tauche ich auf der anderen Beckenseite auf und balle die Faust.

Der Arbeitstag kann bringen was er will. Meinen Erfolg für heute habe ich bereits. Das Tauchen hat mich wieder.