Samstag, 4. August 2007

Atemlose Stille.

Es ist Mittag in Singapur. Die Sonne brennt. Ein Mann, ein Swimmingpool.


Mein Pass hat zu Beginn dieses Monats seinen Lebensabend der letzten 6 Monate begonnen und ich muss einen neuen beantragen. Das deutsche Konsulat befindet sich im Stadtzentrum, ich steige um halb acht Uhr morgens in ein Taxi um den Warteschlangen zuvorzukommen.

Die Geschäftigkeit der Menschen rund um den Raffles Place, die entschlossenen Gesichter der Männer und Frauen in Hell, Getönt oder Dunkelblau sind zum einen beneidenswert in ihrer Zielstrebigkeit, andererseits strahlen sie eine Fremdgesteuertheit aus, die mich als Beobachter der Szenerie wiederum erschreckt: ich sehe hier im Gegensatz zu anderen Orten der Welt, an denen sich ebenfalls eine große Zahl von Menschen zur täglichen Arbeit einfinden, kein fröhliches Gesicht. Nicht um 9 Uhr, wenn die meisten ihre Büroarbeit beginnen und noch ohne Erfolgserlebnis sind oder nervös wegen ihrer E-Mail-Anfrage von gestern Abend, von der sie sich einiges versprechen, nicht um 10 Uhr, wenn schon wieder einige Angestellte auf der Straße sind für den ersten Kaffee bei Starbucks um die Ecke und auch nicht um Elf auf ihrem ersten Kundengang.

Mein Konsulatsbesuch ist wie erwartet kurz und schmerzlos, ich freue mich auf den Swimmingpool meines Apartments, dessen Besuch ich mir für diesen freien Tag unter der Woche vorgenommen habe.

Das 25 Meter-Becken liegt hellblau vor meinen wieder ermüdenden Augen, als ich um kurz vor 12 Uhr meine Zehen ins Wasser tauche. Ich schwimme 10 Bahnen zum Warmwerden, eine Brise kräuselt das Wasser leicht, während ich entspannt vor mich her pruste.

Ob ich noch tauchen kann, frage ich mich selbst. Früher habe ich mich gerne selber im Luftanhalten herausgefordert, im öffentlichen Schwimmbad, im Freibad oder in der Badewanne, wenn solch ein Luxus zur Verfügung stand. Tauchen bedeutet für mich eine unmittelbar gefühlte Endlichkeit der eigenen Existenz und gleichzeitig eine besondere Art zu entspannen, die unter Wasser kaum je länger als eine Minute dauert und somit umso intensiver geschieht.

Ich will mit einer quergetauchten Bahn von 10 Metern Länge beginnen, pumpe dafür zunächst langsam Luft in die Lungen, atme vier Mal tief ein und gleite ohne Hast unter Wasser dem anderen Beckenrand entgegen. Ich merke wie der erste Versuch nicht so entspannt geschieht wie ich ihn mir vorgestellt habe, ich bin zu verkrampft, will zu schnell vorwärts und verbrauche dadurch zu viel Energie. Das Auftauchen auf der anderen Seite ist eine Erlösung für meine protestierenden Lungenflügel.

Ich bin nicht zufrieden.

Die zweite Beckenquerung bereite ich besser vor, ich atmer länger tief ein, die Nase kurz über der Wasseroberfläche, in meinem Inneren auf den richtigen Moment wartend, dann nämlich, wenn ich nicht mehr denke, nur noch warte und dann – loslasse. Entspannt rudere ich mit den Armen unter Wasser der anderen Seite entgegen und finde noch Zeit, die letzten beiden Stöße betont langsam zu vollenden, um dann ohne Hast an die Oberfläche zu treiben.
Der dritte Versuch überzeugt mich, jetzt auch die gesamte Länge des Beckens ins Auge zu fassen. Ich messe die Strecke ab, zwischen der vorderen Einsteigsleiter, bei einem Meter Wassertiefe, und der hinteren bei 2 Meter 40, suche im Becken nach Orientierungspunkten, die meinen Fortschritt, mein Fortschwimmen verdeutlichen und sinke unter Wasser. Beim Auftauchen an den in den Pool gekachelten Treppenstufen merke ich: da ist noch mehr drin.

Ich steige aus dem Wasser und gehe langsam drei Meter weiter an den Beckenrand auf der tiefen Seite des Pools. Wieder atme ich entspannt und tief ein, vier Mal ein, vier Mal aus, ich merke, dass ich schlucken muss und denke, zerstört mir der Schluckreflex den Rhythmus des Atemholens, vertreibt er mir wieder die Luft, die ich gerade in meinen Lungenflügeln speichere? Ich verscheuche den Geedanken wieder, ich will schließlich tauchen, außerdem, und ich muss beinahe lächeln, habe ich als Jugendlicher so nie gedacht. Einfach machen, ertönt es in meinem Kopf. Die Stimme könnte meine sein oder die meines Vaters, wahrscheinlich eine Mischung, wir sind uns ähnlich genug.

Mit zwei kurzen Schritten bin ich am Beckenrand, stoße mich ab und gleite schwungvoll durch die stumme Welt in Hellblau. Meine Tauchtiefe ist zufällig auf der Höhe des 1 Meter 40 flachen Bodens, der sich langsam aus der Tiefe erhebt, er streichelt meinen Bauch, während ich ganz flach über ihm hinwegzuschweben beginne. So macht Tauchen Spaß, ich merke wie meine Lungen wieder zu protestieren beginnen, doch die Entspannung, die ich in mir fühle, gewinnt, ich gleite energisch, aber leicht dem anderen Ende entgegen. Glücklich tauche ich auf.

Und bin doch noch nicht zufrieden, ich merke, wie sehr es mich freut, mir das Becken Schritt für Schritt zu erarbeiten, seine scheinbar große Länge auf kleine Stücke unterteilt zu haben. Tauchen, wie Beppo der Straßenfeger aus Michael Endes „Momo“ seiner Arbeit nachgeht, Besenstrich für Besenstrich, Zug um Zug – so ist das Schwimmbecken, das mir zunächst als eine einzige Masse an Wasser erschien, zu einer Serie von greifbaren und bezwingbaren Einheiten geworden.

Doch eine Herausforderung fehlt noch. Das Längstauchen ohne Kopfsprung.

Ich möchte das Becken ohne das Geschenk zweier gesprungener Meter und anschließender Gleitphase durchqueren können. Mein Ehrgeiz lässt mich nicht den Pool verlassen ohne diesen Versuch wenigstens unternommen zu haben.

Ich stehe mit gebeugten Knien im Wasser, die Arme auf der Oberfläche und blicke konzentriert atmend auf die andere Seite. Beim Eintauchen merke ich, dass ich mir mehr Schwung vom Beckenrand hätte genehmigen können und bereue den Gedanken sofort: nicht analysieren, tauchen, denke ich mir und stelle fest, wie ich nach den ersten drei Zügen zu entspannen beginne. Nur einen Blick gönne ich mir nach vorn, wo ich unscharf dunkelblaue Farbe erkenne und richte meinen Blick wieder auf die hellblauen Kacheln, die unter mir vorbeiziehen. Ich betrachte meine Hände, wie sie von der hinter einer langen Wolkenbank überraschend hervorgesprungen Sonne beschienen werden, so als ob sie nun auch neugierig geworden ist, ob das Menschlein an seinem selbst gesteckten Ziel ankommen wird. Der Boden unter mir gibt Raum für den tiefen Teil des Beckens, ich tauche nun in der Mitte des Wassers und entdecke erfreut meinen Schatten wie er unter mir über den tiefen Boden hinwegzieht. Für lange vier Züge genieße ich so, durch das Wasser voranzuschweben, ich weiß, dass ich es schaffen werde, am anderen Ende anzukommen und fühle mich gut auf dieser kurzen Reise in Begleitung meines vorauseilenden Schattes. Mit einem auch für die Sonne deutlich wahrnehmbaren Lächeln tauche ich auf der anderen Beckenseite auf und balle die Faust.

Der Arbeitstag kann bringen was er will. Meinen Erfolg für heute habe ich bereits. Das Tauchen hat mich wieder.

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