Mittwoch, 27. Juni 2007

„Nicht mehr Chinesen anschießen“

Das Singapurer Philateliemuseum zeigt erstmals eine Sammlung historischer Postkarten


Das Synonym für Singapur heißt Fortschritt. Vom ersten besitzergreifenden Schritt des Stamford Raffles im Januar 1819 bis zum Aufstieg der Stadt in die Liga der kleinen Tigerstaaten – die Insel wandelt sich unaufhörlich. Doch Fortschritt bedeutet auch – nicht nur, aber besonders im Singapurer Kontext – den Verlust von Originalität, einen fortschreitenden Mangel an historischen Rückbezügen.
Das hiesige Philateliemuseum hält dem seit Jahresanfang mit einer besonderen Ausstellung entgegen: historische Postkarten erinnern unterhaltsam und informativ an die Kultur-, Bau- und Alltagsgeschichte Singapurs. Besonders für deutsche Besucher ist diese Ausstellung ein optischer und inhaltlicher Leckerbissen.

Die zwischen 1897 und 1941 verschickten 550 Grußbotschaften stammen gänzlich aus der Privatsammlung von Professor Cheah Jin Seng, einem Singapurer Arzt und Philatelisten. In 30jähriger Leidenschaft zusammengetragen, hat Cheah seinen Schatz schließlich letztes Jahr dem kleinen, aber feinen Museum an der Coleman Street gespendet.

Die Ausstellung ist leicht verständlich konzipiert. Ein Großteil der Exponate ist in drehbaren Schaukästen ausgestellt, so dass sich Vorder- und Rückseite der Postkarten betrachten lassen. Dadurch fällt dem Besucher nicht nur auf, dass die ersten Postkarten Singapurs aus den 1880er Jahren – wie die ersten Postkarten überhaupt – auf der Vorderseite keinerlei Motiv, sondern lediglich die Anschrift des Empfängers trugen. Auch erstaunt die Menge an auf deutsch geschriebenen Postkarten, die ihren Weg in die Sammlung gefunden haben. „Die Kosten hier, eine große Ananas 2 Pf, Orangen 50 Stk. für einen Groschen, das Bier hingegen 1 Flasche ca. 1 Mark, Wein ca. 4–10 Mark“ ist auf einer Karte von 1890 zu lesen – eine frappierende Ähnlichkeit zu heutigen Alkoholpreisen.

Aus dem selben Jahr, eine Dekade vor dem chinesischen Boxeraufstand, stammt auch die folgende Erkenntnis: „Nicht mehr Chinesen anschießen. Letzteres ist neben den Kosten auch sonst wenig vorteilhaft“.

Ein Teil der ausgestellten „SMS des 19. Jahrhunderts“, wie das Museum seine Exponate flott beschreibt, ist der fleißigen Arbeit des Dresdner Fotografen G. R. Lambert zu verdanken, der im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Fotostudio in Singapur betrieb und vor allem dessen Bewohner – vom Kolonialherrn bis zum Kuli – porträtierte.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählt eine auf Wandbreite vergrößerte dreiteilige Panoramapostkarte von 1902, die vom Fort Canning Hill aus einen Blick auf den noch kaum bebauten Südwesten der Insel zeigt.

Spannend ist auch der Vergleich alter und neuer Aufnahmen der Stadt, die das Museum zum besseren Verständnis nebeneinander gestellt hat.

Die Orchard Road der Jahrhundertwende mit ihren Obstgärten und Muskatnußbäumen ist heute nicht mehr wiederzuerkennen. Selbst auf Fotos aus den 1930er Jahren muss der Museumsbesucher ein wenig länger verweilen, um bekannte Gebäude zu entdecken.

Und der heute mit Grünflächen bedeckte und von Wolkenkratzern belagerte Raffles Square ist 1926 noch fest in der Hand von Rikscha- und Austinfahrern.

Das Museum hat aus einer ursprünglich rein philatelistischen Sammlung eine gelungene Postkartenausstellung produziert, die historische Rückbezüge ermöglicht und die kulturelle Vielfalt der kleinen Insel und ihrer Bewohner unterhaltsam zu präsentieren vermag. Besucher haben noch bis zum 1. Juli Gelegenheit, sich vom großen Wandel Singapurs ein Bild zu machen.


Info:
Yesterday Once More: A Postcard Exhibition
Dauer: 31. Januar - 1. Juli 2007
Ort: Singapore Philatelic Museum, 23-B Coleman Street, Singapore 179807
Öffnungszeiten: montags (13.00–19.00); dienstags – sonntags (9.00–19.00)
Eintrittspreise: $5 (Erwachsene); $4 (Kinder, 3–12 Jahre)
Telefon: 6337-3888
Webseite: www.spm.org.sg

(Alle Photographien mit freundlicher Genehmigung des SPM)

Labels: , ,

Montag, 18. Juni 2007

Tanze mit mir in den Morgen ...

Der Reporter bei einem ungewöhnlichen Rekordversuch


Ronnie Soo ist hochkonzentriert. Leicht nach vorne gebeugt tänzelt der 66-jährige alleine über die asymmetrischen Kacheln des Far East Square. Es ist 9 Uhr abends und Ronnie, nach einer langen Nacht, nur noch wenige Minuten von seinem neuen Line Dance-Rekord entfernt.

Vierundzwanzig Stunden zuvor stehen noch eine Menge Tanzgefährten um ihn herum. 100 Hobbytänzerinnen und –tänzer nehmen am zweiten Marathon-Wettbewerb des Singapore Book of Records teil. Line Dance stammt aus den USA, ist dort besonders im Mittleren Westen populär. Tänzerinnen und Tänzer stehen in mehreren Reihen und müssen zu vorzugsweise Country-Klängen vorgeschriebene Schrittfolgen ausführen. Die Tänze lassen sich schnell lernen. Doch die Regeln des heutigen Wettbewerbs sind hart: pro Stunde dürfen sich die Teilnehmer lediglich 5 Minuten ausruhen. Disqualifiziert wird jeder, der die vorgeschriebenen Schrittfolgen der rund 100 verschiedenen Tänze nicht beherrscht oder unsauber ausführt.

Sechs Stunden in den Wettbewerb haben die meisten Teilnehmer aufgegeben. Es wird eine lange Nacht für Ronnie und seine härteste Konkurrentin Rita, auch 66 Jahre alt, die entspannt, aber konzentriert gemeinsam ihre Kreise drehen, angefeuert vom harten Kern ihrer Anhänger.

Rita gibt nach exakt 24 Stunden auf. Ihre geschwollen Füße plagen sie heftig. „Ich wollte diese Marke knacken und dann aufhören“, sagt die Rentnerin sichtlich erschöpft, aber glücklich, umringt von ihren Familieangehörigen und Freunden, die unaufhörlich Ritas Arme und Beine kneten.

Ronnie hat noch nicht genug. Der Rekord ist noch nicht geknackt.

Unter dem anfeuernden Applaus der Zuschauer und mit der Unterstützung seiner Freunde, die – ihre Wettbewerbskleidung längst abgelegt – in Zivil solidarisch mittanzen, macht Ronnie weiter.

Nach 25 Stunden und genau zwei Minuten ist es geschafft. Ronnie Soo ist neuer Rekordhalter, er hebt lässig die Hand und verkündet „Nun ist’s genug.“

Im Interview gibt sich Ronnie sehr bescheiden: „Ich habe noch Luft, hätte auch noch weitertanzen können, aber ich will die anderen nicht zu lange warten lassen“, sagt er und grinst. Das Geheimnis seines Erfolgs? „Ich schwimme jeden Tag 50 Bahnen im Condo-Pool.“

Die nächste Meisterschaft wird, laut Veranstalter, in zwei Jahren stattfinden. Ronnie will wieder antreten. Er trainiert ja schließlich täglich.