Montag, 12. März 2007

Staatsdienlicher Gottesdienst.

Als ausländischer Gasthörer in Suntec City


Prince ist in Singapore. Er schreit, kreischt, knurrt, grummelt und stöhnt wie es seine Zuhörer mögen und nicht anders von ihm kennen. Immer wieder ertönt Szenenapplaus für ihn und die Band. „Amen“ und „Hallelujah“ tönen durch den weitläufigen Saal.

Doch Prince hat keine Gitarre umgeschnallt, sondern ein Mikrofon, und heißt mit Vornamen Joseph. Pastor Joseph. Herzlich willkommen zunm Gottesdienst in der New Creation Church in Singapore.

Ich bin mit meinem Freund M., einem Singapurer, verabredet, der mir versprochen hat, mich in einen Gottesdienst in einer der drei großen Kirchen Singapurs mitzunehmen. „Groß“ heißt im Singapurer Kontext rund 10.000 Gemeindemitglieder, so viel zumindest hat die Faith Community Baptist Church oder kurz FCBC, wie in Singapur überhaupt gerne Abkürzungen benutzt werden. Mehr zu bieten haben noch die City Harvest Church mit 16.000 und die New Creation Church mit rund 15.000 Mitgliedern. In letzterer sind wir am heutigen Sonntag zu Gast. Dazu fahre ich in das Großkaufhaus „Suntec City“, in dessen benachbarten Messehallen auch schon mal der Internationale Währungsfond tagt.

Der dritte Stock des Einkaufszentrums, auf den ich über eine für deutsche Verhältnisse unüblich schnelle Rolltreppe gelange, ist proppenvoll. Warteschlangen für alle Arten von Gläubigen, Warteschlangen für alteingesessene Mitglieder, für Neuankömmlinge oder Schwangere. Ich stelle mich mit M. an der Gästeschlange an und warte auf den Einlass.

Das Ambiente ist bizarr. Der Eingang zur Kirche sieht aus wie der Einlass zu einem Erlebnispark, „Rock“ steht in zackiger Schrift über einem Torbogen aus gefälschten Granitblöcken geschrieben. Ich erwarte hier Free-Climbing, neueste Kino-Action oder eine Spielhölle, für die Gemeinde ist das der Eingang zum Himmel auf Erden.
Wir nehmen schließlich Platz in einem der vielen hundert, weichen Kinosessel des Saales, während sich die Gemeindeband auf der in weiche Lilatöne gehüllten Bühne warmsingt.

Beziehungsweise sich in Stimmung hält, ist das doch schon der zweite Gottesdienst an diesem Sonntag, den sie nach dem Frühgebet um 9.30 nun um halb zwölf mit rund 1000 Gläubigen abhalten wollen.
Der Saal füllt sich rasch, die Show beginnt mit drei perfekt inszenierten und choreographierten Songs. Die beiden überlebensgroßen LCD-Bildschirme über der Bühne setzen die Sängerinnen professionell ausgeleuchtet ins rechte Licht.

Pastor Darren spricht – quasi als Vorgruppe – das erste Gebet und stimmt die Gemeinde auf den Hauptakt beziehungsweise die Predigt ein. Die eigentliche Show beginnt, als Prince mit dem Schlusstakt des letzten Liedes langsam aus dem Backstagebereich nach vorne schreitet.
Der Enddreißiger indisch-chinesischer Abstammung sieht nicht wie ein Pastor aus. Joseph Prince könnte die Finalrunde von „Deutschland sucht den Superstar“ gewonnen haben, Typ: Schmusesong, Schwiegermutters Darling. Gegelte Haare, braunes Jackett, Jeans, blaues Hemd, weiße Turnschuhe.
Seine Assistentin Phyllis verliest eine anonym per E-Mail gesendete Familiengeschichte, in der Jesus nicht nur alle Bankschulden getilgt, sondern auch der Tochter zu besseren Noten und der Ehefrau zum Nichtraucherdasein verholfen hat, eine eineinhalbseitige Geschichte, die beinahe zu perfekt komponiert ist, um wahr zu sein.

Prince, das Ebenbild eines „American Idol“-Gewinners, hat seine Stimme vergleichbar gut im Griff. Er flüstert und schreit, treibt seine Gemeinde an, fordert sie auf, ihm ein fröhliches „Amen“ entgegenzuschleudern. Viele Mitglieder kichern, wenn Prince auf der Bühne mit verstellter Stimme eine Amerikanerin imitiert oder einen britischen Snob. Er ist ein guter Entertainer, theatralisch, ohne dabei den Kontakt zu seiner Gemeinde zu verlieren, er erzählt Familiengeschichten und persönliche Erlebnisse. „Egal wie sehr ich meine Tochter lieben werde, Gottes Liebe wird immer größer sein“, schreit er in die Menge, die ihm begeistert ein Amen entgegenwirft.

Die Bibelstelle seiner heutigen Predigt lautet Johannes Kapitel 10, Vers 1-14, „Life and life more abundantly“. „Vertraue Dich dem Herrn an, sei ein Schaf, folge dem Herrn und Dein Schmerz, Deine Sorgen werden vergehen.“ Prince zieht alle Register seines Könnens, er imitiert einen Atheisten genauso wie Einstein als vermeintlich besten Wissenschaftsrepräsentanten. Er imitiert sogar Jesus, die Staubwolke, die die Ägypter daran hinderte, die Israeliten vor dem Roten Meer doch noch abfangen zu können.
Er dreht sich spielerisch mit dem Rücken zum Publikum um und grinst „I feel like a superhero“, das Publikum lacht, ohne ihm diesen – in meinen Augen beinahe blasphemischen – Akt übel zu nehmen. Überhaupt fehlt in diesen zweieinhalb Stunden jegliche Spur einer in sich gekehrten Gottesfürchtigkeit katholischer Kirchen in Deutschland. Die Band rockt, in Maßen, fast ausschließlich Dur-Akkorde, süßlich verpackt in leicht verdauliche und rührend inbrünstig vorgetragene und mitgesungene Arrangements.

Was mich bewegt, ist die Hingabe vieler junger Singapurer, die auf Zuruf von Pastor Prince die Arme in die Höhe strecken und „Hallelujah“ rufen, keine Hysterie, keine Ekstase, aber aufrichtiges, lautes Anbeten Gottes.
Joseph Prince betont in seiner Predigt immer wieder „I am not a religious leader, I am a spirtiual leader. Do I look like a religious leader?“, fragt er neckisch und macht sich über fanatische Glaubensbrüder lustig. Das Publikum lacht zur Antwort.
„Live your life as a sheep“ ist seine Botschaft und er meint das ernst. In Singapur muss er das nicht zwei Mal sagen. Fünf neue Schafe hat er an diesem Sonntag um kurz vor Zwei hinzugewonnen, die er am Ende des Gottesdienstes persönlich und werbewirksam mit Handschlag von der Bühne herab begrüsst.

Ich verlasse mit M. den Saal und finde mich draußen wieder wie nach einem langen Kinobesuch. Die Realität Singapurs hat mich schnell eingeholt - der Wachdienst des Kaufhauses hindert mich daran, das Eingangsschild der Kirche zu fotografieren ...

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